Neues und Historisches zum 4,5 km langen KdF-Gebäudekomplex in Prora auf Rügen. Der einst geplante Ferien-Ort Prora ist heute ein Ausflugsziel
Wofür diente der Koloss von Rügen
in Prora ursprünglich?
Funktional:
Der kleine Ort Prora ist ein Ortsteil des Ostseebades Binz und liegt an der Bucht
Prorer Wiek.
Ende der 1930er Jahre erwarb die Gemeinschaft Kraft durch Freude
ein ungefähr 5 Kilometer weites Areal an der Ostseeküste.
Kraft durch Freude (KdF) war die Organisation für nationalsozialistische Freizeitpolitik,
eine Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront
(Einheitsverband der Arbeitnehmer und Arbeitgeber).
Auf diesem Küsten-Areal sollte ein 4,5 Kilometer langes Seebad entstehen,
in dem 20.000 Volksgenossen
einen bezahlbaren Urlaub an der See verbringen könnten,
vergleichbar mit den großen Badeorten für einfache Familien in Großbritannien zu der Zeit – nur größer.
Jede Ferienwohnung würde Meerblick bieten.
Die Korridore und Sanitärbereiche sollten landwärts liegen
und jeder Flur Gemeinschaftstoiletten, Duschen und Badräume enthalten.
Gleichzeitig wollte Adolf Hitler den Komplex im Kriegsfall zum Militär-Krankenhaus umfunktionieren können.
Dieser Prestige-Bau wurde zwar mit Beginn des zweiten Weltkrieges im Jahr 1939 eingestellt, dennoch enstanden bis dahin 8 aneinandergereihte, baugleiche Häuserblocks mit einer Gesamtlänge von immerhin 3,6 Kilometern. Bis auf 1 Block wurden die 8 geplanten Wohnblöcke und die südliche Festplatz-Randbebauung sowie die Kaianlage nur im Rohbau errichtet. Gar nicht realisiert wurden das geplante Schwimmbad, eine gigantische Festhalle und weite Teile der Wirtschaftsgebäude.
Mit Kriegbeginn diente ein Teil des KDF-Baus Prora als Ausbildungsstätte für Luftwaffenhelferinnen und für ein Polizeibataillon. Im Jahr 1943 wurden Teile der südlichen Blocks ausgebaut, um Ersatzquartiere für ausgebombte Hamburger zu schaffen. Ab 1944 diente der KDF-Bau der Wehrmacht als Lazarett. Gegen Ende des Krieges fanden dort auch Flüchtlinge aus den früheren Ostgebieten in Prora eine Bleibe. Erst nach dem Krieg wurde der einst als Seebad geplante Komplex für andere Zwecke ausgebaut.
Symbolisch:
Das Entwerfen überdimensionierter Küstengebäude war in den internationalen Architektenkreisen der 1930er Jahre nichts Abseitiges:
Ein Beispiel war der Plan Obus für Algier (1931)
von Le Corbusier
(Charles-Édouard Jeanneret-Gris, 1887–1965),
einem der einflussreichen Architekten des 20. Jahrhunderts;
oder die von ihm geplante Stadterweiterung für Rio de Janeiro (1936).
Sie hätte sich über 6 Kilometer als 15geschossiger Gebäuderiegel mit einer Autobahn in 100 Meter Höhe
an der Küste entlang winden sollen.
Um Washington und Baltimore zu verbinden,
griffen US-Architekten in den 1930ern die Idee der Straßenstadt (Roadtown),
also einen lang gestreckten, linearen Stadtentwurf wieder auf.
Beeindruckende Architekturen, die nie realisiert wurden.
Hitlers Architekt Clemens Klotz entwarf mit dem kilometerlangen KdF-Seebad Prora
sein Symbol nationalsozialistischer Rekord- und Großmannssucht
– ein überdimensioniertes, monumentales Ungeheuer,
getreu der Vorstellung,
dass die größten Zeiten verschiedener Völker mit den größten Bauwerken einhergingen;
Balsam für nationale Minderwertigkeitsgefühle, die Hitler im deutschen Volk auszumachen glaubte,
als wäre es insgesamt minderwertig in der Welt, nicht fähig zu großen Taten, nicht würdig des Rechtes aller anderen
.
Robert Ley bezeichnete in der Gründungsrede der KdF die Behebung
des
Minderwertigkeitskomplexes
der Arbeiter als eine Kernaufgabe der neu geschaffenen Organisation.
Wie solche modern geplanten, nicht organisch gewachsenen Megastrukturen und die im Vergleich zur Bäderarchitektur völlig ortsunspezifische Anmutung – der Bau könnte überall stehen! – zur völkischen Ideologie passen, ist wahrscheinlich streitbar.
Wenn Völker große Zeiten innerlich erleben, so gestalten sie diese Zeiten auch äußerlich. Ihr Wort ist dann überzeugender als das gesprochene. Es ist das Wort aus Stein!
Der KDF-Bau ruft auch die Luxusliner unserer Zeit ins Gedächtnis: Schwimmende Städte mit Meerblick für tausende Passagiere.
Ende der 1990er begann ein Schiffbauprojekt der US-Firma Freedom Ship International
mit den Zielmarken von 1,8 Kilometer Länge, 250 Meter Höhe und 80.000 Passagieren.
Finanzierungsschwierigkeiten haben die Umsetzung dieses Erholungsgiganten bisher verhindert.
Was passierte mit dem KdF-Seebad in Prora nach dem 2. Weltkrieg?
Seit 1946:
Unmittelbar nach dem Krieg
wurde dieses kilometerlange Hitler-Gebäude
zur Internierung von Grundbesitzern
und zur Unterbringung von Heimatvertriebenen aus den Ostgebieten genutzt.
Russlands Rote Armee übernahm das Areal von 1948–1953,
zusammen mit dem Gebäudekomplex,
und stationierte dort ihre 13. Panzerjäger-Brigade.
Gleichzeitig wurde im Jahr 1949 eine Infanterieschule für zirka 1000 Soldaten in Prora gegründet.
Aus ihr gründete sich die Polizeibereitschaft, die 1952 in die Kasernierte Volkspolizei
überging
– dem Vorgänger der nationalen Volksarmee der DDR.
Seit 1960:
Neben militärischen Kampfverbänden,
die im Jahr 1961 unter Anderem den Berliner Mauerbau absicherten,
wurde seit 1960 auch das Luftsturmregiment 40 Willi Sänger
in Prora untergebracht
– ein Eliteverband der NVA-Landstreitkräfte.
Zeitgleich konnte man in Prora auch die Offiziershochschule Otto Winzer
zur Ausbildung ausländischer Militärkader finden.
Deren Offiziersschüler stammten aus Simbabwe, Sambia und der Volksrepublik Kongo,
aus Nicaragua, Kuba und Tansania. Der jüngste Schüler war 15 Jahre alt.
Diese Schüler gehörten der palästinensischen Befreiungsorganisation PLO, der syrisch- und jemenitisch-arabischen Republik oder der volksdemokratischen Republik Jemen an. Selbst Afghanistan, Nordkorea und Laos, Vietnam und Kampuchea, sowie das sozialistische Äthiopien und Mocambique entsandten Schüler zur Insel Rügen.
Seit 1982:
In den Jahren nach 1982 beherbergte die militärische Einrichtung Prora die größte Ansammlung so genannter Bausoldaten. Fast 500 Waffenverweigerer und Regimegegner wurden hier stationiert. Als Baukraft konnten sie so zumindest dem Gefängnis entgehen.
Immerhin drohte Totalverweigerern noch bis in das Jahr 1985 eine Gefängnisstrafe von 18 bis 22 Monaten und sie endete oftmals mit einer Ausweisung aus der DDR. Die Proraer Bausoldaten wurden vor allem für den Aufbau des Mukraner Fährhafens eingesetzt.
Prora sollte noch bis 1993 militärisches Sperrgebiet bleiben – insgesamt 43 Jahre lang.
Was hat es mit den eingezäunten Ruinen von Prora auf sich?
Nach Ende des 2. Weltkrieges im Jahr 1945 sprengt die Rote Armee Teile des Nordflügels des KDF-Baus in Prora, die jedoch lediglich schwer beschädigt, aber nicht zerstört wurden. Etwa 2,5 Kilometer Gebäude waren daraufhin noch nutzbar, die restlichen 2 Kilometer endeten als Ruine. Davon sind jetzt noch 3 Gebäude mit einer Länge von 30, 40 und 220 Meter als Ruine stehen geblieben.
Was wird heute mit dem KdF-Gebäude in Prora gemacht?
In Prora entstehen Ferien- und Eigentumswohnungen.
Seit 2004 wird das längste Gebäude Deutschlands umfangreich saniert.
Neben einem Hotelbereich entstanden in Prora verschiedene Ferienwohnungen und Eigentumswohnungen,
Boutiquen und kleine Läden, sowie ein Supermarkt, Dokumentationszentrum und Oldtimer-Museum.
Außerdem wurde ein Kinder- und Jugendmuseum zum Experimentieren eröffnet.
Es lockt nicht nur der Meerblick nach Prora. Der Ort hat auch ein schönes Umfeld und ist der ruhigere Ortsteil des beliebten und gut besuchten Ostseebades Binz.
- Baumwipfelpfad im Naturerbe Zentrum Rügen
- Feuersteinfelder zwischen Prora und Mukran – geologisch einmalig
- Prorer Wiek mit feinsandigem Ostseestrand, der von Mukran bis zum Ostseebad Binz reicht
- Ferienunterkunft in Prora aus unserem Gastgeberverzeichnis (vor Ort besucht)
- Private Informationsseite zur realen Geschichte von Prora und Mukran