Vor einigen Tagen lag das Heimatbuch von Christoph Dietrich auf meinem Schreibtisch. Nachdem ich mir etwas Zeit nahm und das Buch nun zu Ende las, will ich es hier mal kurz vorstellen. Der Leser erfährt auf den 24 Tagesausflügen des Autors recht Wissenswertes über Mecklenburg-Vorpommern ohne dass es dabei anstrengend wird. Im Gegenteil ist das Buch recht humorvoll verfasst und lässt sich abends oder unterwegs schnell weglesen. Unendliche Weiten ist aber auch kein Reiseführer im herkömmlichen Sinn und sollte nicht mit dieser Erwartung gelesen werden. Wer lediglich etwas hinter die Fassade der Einheimischen sehen möchte, dem sei das Buch nahegelegt. Wussten Sie, dass das Wort „Wende“ für den politischen Wandel in der DDR von Egon Krenz geprägt wurde?
Leseprobe „Heimatbuch Mecklenburg-Vorpommern & Ostsee – Unendliche Weiten“:
Mein Reisebegleiter wollte unbedingt in Prora übernachten. Also standen wir gestern Abend noch vor dem gigantischen Komplex, der alle zubetonierten Küstenorte dieser Welt vor Neid erblassen lässt. Ein endloser, 4,5 Kilometer langer Bau mit Meerblick, Ende der 1930er-Jahre von der NS-Freizeitorganisation Kraft durch Freude errichtet. Nach der Fertigstellung sollten hier einmal 20.000 Volksgenossen gleichzeitig Urlaub von der anstrengenden Weltherrschaft machen. Das wären immerhin zwei Personen pro Quadratmeter Strand gewesen. Den Beachvolleyball hätte man also getrost zu Hause lassen können. Das KdF-Seebad war eines der wichtigsten Prestigeprojekte des Dritten Reiches. Bekannte Baufirmen erhielten seinerzeit zahlreiche Großaufträge (darunter Hochtief, Holzmann und die Siemens-Bauunion). Deswegen wurden die geplanten Baukosten auch deutlich überschritten. Schon zwei Jahre nach Baubeginn hatten sie sich fast verfünffacht. Gut, dass man da heute besser aufpasst.
Die acht Wohnblöcke schafften es bis zum Rohbau, dann stoppte Hitler die Arbeiten »vorübergehend«, um kurz einen Weltkrieg dazwischenzuschieben. Nachdem sich dieser auch etwas länger als geplant hinzog, hat man die Baustelle irgendwie aus den Augen verloren. Dabei soll der »Koloss von Prora« ja das einzige Bauwerk neben der chinesischen Mauer sein, das man von einer fliegenden V2 aus sehen kann. Zu DDR-Zeiten waren hier Tausende Soldaten stationiert. Eine Eliteeinheit der NVA trainierte in den Gebäuden den Häuserkampf. Bausoldaten – Waffendienstverweigerer in Uniform – mussten hier Schwerstarbeit leisten.
Nach der Wende herrschte dann erst einmal allgemeine Ratlosigkeit. Was sollte man mit so einer Anlage anfangen? Es eröffneten Museen, Galerien und riesige Youth Hostels, aber was man auch tat: Der größte Teil blieb ungenutzt. Inzwischen sind nun doch alle Blöcke irgendwie verkauft. Es sollen Wohnungen und Hotels entstehen. Ab jetzt wird das sicher alles ganz schnell gehen. Die Architekten der Hamburger Elbphilharmonie sollen schon ihre Unterstützung angeboten haben.
In einem Seitengebäude befindet sich auch die größte Diskothek der Insel – das M3. »M« soll für »Miami« stehen. Wofür die »3« steht, wird nicht verraten. Ich will nicht zu viel versprechen, aber schon der Eingang bietet eine einmalige Zeitreise in die frühen 1990er-Jahre. Das findet man so heute gar nicht mehr.
Der Verlag beschreibt sein Buch so:
In diesem neuen Kulturführer, einem satirischen Roadtrip durch den Nordosten der Republik, besucht der Kabarettist Christopher Dietrich nicht nur Rügen, sondern reist quer durch Mecklenburg-Vorpommern, entdeckt weite Rapsfelder, verlassene Hansestädte und malerische Fischerdörfer. Seine Begegnungen auf dem Weg hat er mit spitzer Feder, aber auch viel Liebe zu seiner Heimat und seinen Mitmenschen zu Papier gebracht. Das Buch ist überall im Buchhandel erhältlich.